Es ist an der Zeit… die ersten Tage nach der Operation


Der erste Teil dieser Serie über die Zeit mit einem Tumor (Osteoblastom) an der Wirbelsäule, der vorige, achte Teil.  Im Grunde sollte nach einem erfolgreichen Operationsverlauf doch alles sofort gut sein.

  • Skizze eines Tumors über mehrere Wirble der HalswirbelsäuleSKizze: HWS mit Tumor

Es war nicht gut. Nichts war gut, gar nichts.

Am Abend des Operationstages auf der Intensivstation sprach das Kind noch, nicht viel aber ein bisschen. Morgens beim ersten Besuch war es schon deutlich weniger und dann hörte er auf zu sprechen. Kommunikation ohne zu sprechen ist nicht ganz einfach. Hinzu kam, dass er ja wegen des Gerüsts (Halo-Fixateur) weder nicken, noch den Kopf schütteln konnte. Wir verständigten uns daher über Augenzwinkern.

Der Vorteil nach der Operation für mich persönlich war, dass ich wieder etwas tun konnte. Ich kämpfte um jede Kleinigkeit. Es begann mit dem Kampf, das Kind so schnell wie möglich wieder in die Kinderklinik verlegen zu lassen. Mir war klar, dass hier auf der Intensivstation allein mit mir und dem Personal nichts besser werden würde. Die dazu nötigen Untersuchungen waren für ihn sehr, sehr anstrengend und schmerzhaft. Erstmals habe ich sowas wie Hass in seinen Augen aufblitzen sehen, wenn es um weitere Untersuchungen ging. Trotz dieser Probleme tat ich alles, um die Verlegung zu ermöglichen. Ich hatte auch erstaunlich schnell Erfolg. Sein Gesamtzustand war, den Umständen entsprechend, sehr stabil. Bereits nach am dritten Tag wurde er zurückverlegt. Insgesamt war er damit weniger als 48 Stunden auf der Intensivstation.

Zurück in die Kinderklinik

Leider bekam er in der Kinderklinik zunächst wieder ein Einzelzimmer, weil er Ruhe haben sollte. Er sprach nicht, er verweigerte jegliches Essen, trank kaum. Für meinen Sohn ein sehr ungewöhnliches Verhalten, denn zumindest getrunken, hatte er sonst immer völlig problemlos und von selbst in großer Menge. Nach Rücksprache mit den Ärzten versuchte ich es mit allen Lieblingsgetränken, wie kleine Tüten Capri-Sonne, die sonst immer ein Highlight waren. Es half kaum, nur mit Mühe trank er wenigstens einen knappen Viertelliter täglich. Über Essen war gar nicht zu reden. Deshalb musste er weiter künstlich ernährt werden. In diesen Tagen war er jedoch auch keinerlei Argumenten zugänglich, er wusste, er bekäme einen Schlauch los, wenn er essen und trinken würde, aber es nützte nichts.

Etwa nach einer knappen Woche sprach er das erste Mal einen Satz, er fragte:

Warum kann ich den Kopf nicht bewegen, wieso ist das so unbequem, warum kann ich nicht richtig liegen?

Ich hatte mich schon einige Tage gefragt, wie genau ihm klar war, was da an ihm dran ist. Ich erklärte ihm, was das war, warum es da war und dass es nicht immer dran bleiben würde. Er verlangte einen Spiegel. Nun, das hatte ich befürchtet und früher oder später musste die Frage kommen. Allerdings hatte ich gehofft, sie käme erst, wenn es ihm etwas besser ginge. Er machte jedoch bis dahin keine Anzeichen Kontakt aufzunehmen, nicht mit dem mittlerweile doch hinzugekommenen Zimmernachbarn, nicht mit dem Personal, mit keinem Besucher, und nur sehr eingeschränkt mit mir.

Ich holte einen Spiegel, und er reagierte wie zu erwarten war, völlig geschockt. Zu diesem Zeitpunkt sahen die Schraublöcher auf der Stirn noch nicht sehr gut aus, das Gerüst als Ganzes sowieso nicht. Er sagte nichts, er wollte nichts, er nahm nichts zu sich, dieser Tag war noch mehr gelaufen als die Tage zuvor. In den folgenden Tagen waren weitere Untersuchungen nötig, nicht mehr so viele, wie vor der Operation, aber doch einige.

Nachuntersuchungen

Die Ärzte wollten sich vergewissern, dass das Operationsergebnis als solches einwandfrei war. Jede Untersuchung war eine Tortur, selbst eine einfache Visite war die Hölle, da der Junge auf der gesamten rechten Körperseite bei jeder, noch so vorsichtigen Berührungen massive Schmerzen hatte. Er selbst, konnte im oberen Bereich der rechten Körperseite so gut wie gar nichts bewegen. Ein Hauch von Anheben der Finger war alles, was möglich war. Eine Nachfrage bei den Ärzten brachte, die schon bekannte Antwort: „Nein, es ist in keinster Weise absehbar, ob das so bleibt, sich verstärkt oder verbessert.

Die Schrauben mussten regelmäßig nachgezogen werden. Ich bin nicht empfindlich, wenn es um Blut geht, ich bin in der Lage auch eine größere Schnittwunde so mit Klammerpflaster zu flicken, dass es nicht unbedingt einen Arzt braucht. Aber das war nochmal was ganz anderes. Ich wusste es war nötig, ich kannte das Risiko, falls es schief ging, trotzdem hätte ich mir vieles andere gewünscht, als die Momente, in denen die Schrauben nachgezogen werden mussten. Die Schrauben waren je vorne und hinten am Kopf zwei Stück fest in die Schädeldecke gedreht.

Es klingt nicht nur grässlich, es war auch so. Mein Kind, der Junge, der sonst nie jammerte, der bei keiner Spritze, keinem Schlauch, keinem Blut abnehmen sich beschwert hatte, versuchte alles, um das zu verhindern, nachdem er es erstmals im Wachzustand mitbekommen hatte. Auch viel später nach Wochen und beim soundsovielten Mal verhandelte er, jammerte, und wenn nichts half wimmerte er während der Prozedur. Ich wünsche niemand, da als Elternteil daneben zu stehen und außer seine Hand halten, nichts tun zu können.


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