Es ist an der Zeit… Kinderklinik in Freiburg


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Damals gab es noch nicht, wie heute, unzählige Informationen im Web, wobei es direkt dort in den ersten Tagen wohl auch heute nicht möglich wäre, im Netz zu suchen oder sich zu informieren. Wahrscheinlich gibt es jedoch heute, wie zu fast allen Themen auch Foren und ähnliche Möglichkeiten sich auszutauschen. Damals hatte ich schon für die Anfahrt, halt die Adresse, eine Landkarte und die Straßenschilder. Außerdem eine gute Freundin, von der ich wusste, dass ihr Bruder vor einigen Jahren dort gestorben war. Heute habe ich erstmal die Seiten der Kinderklinik gesucht. Auf Anhieb habe ich die Fotos erkannt und mich auch sofort wieder an den Namen der Station erinnert: Escherich.

Auf deren Seite steht: „Auf Station Escherich werden überwiegend Kinder und Jugendliche im Alter von 1 bis 18 Jahren mit neurologischen-, neurochirurgischen- und neuroonkologischen Erkrankungen, sowie Patienten mit Muskelerkrankungen betreut.“ Das klingt wie irgendeine Beschreibung. Es hört sich auch für mich heute im ersten Moment an, wie eine x-beliebige Beschreibung am Anfang einer Webseite. In diesem harmlosen Satz steht jedoch im Grunde alles drin, was dahinter steckt. Allerdings versteht das wohl nur, wer schon einmal mit solch einer Station zu tun hatte.

Ja, es sind Kinder und Jugendliche im Alter von 1 bis 18 Jahren

Was habt ihr jetzt im Kopf, welches Bild seht ihr vor euch? Im allerersten Moment sehe ich gesunde und fröhliche Kinder und Jugendliche. Im zweiten Moment fällt mir wieder ein, wie es war. Ja, auch fröhlich stimmte für ganz viele im Alltag eines Tages. Von gesund waren alle dort sehr, sehr weit entfernt. Dort gab es Kinder mit Muskelerkrankungen, das hieß teils Rollstuhl, das bedeutete bei manchen nicht selbständig essen können, weil keine eigenständige Koordination irgendwelcher Muskeln möglich war. Zu den neurologischen-, neurochirurgischen- und neuroonkologischen Erkrankungen gehören Tumore aller Art, Hirntumore, Wirbelsäulentumore, gutartige, bösartige, operativ behandelbare und auch gar nicht behandelbare Tumore.

  • Kind im großen KrankenhausbettKrankenzimmer

Die Neurologie befasst sich mit dem Nervensystem, z.B. kann anhand der Reaktionen an einer Körperstelle auf andere Stellen geschlossen werden. Ein bekanntes Beispiel ist der leichte Schlag mit dem Hämmerchen aufs Knie. Die Onkologie ist kurz und knapp, die Wissenschaft, die sich mit dem Krebs befasst.

‚Kinder und Jugendliche‘, in der Zeit als mein Kind dort war, waren das vor allem Kids im Alter zwischen drei und vierzehn Jahren. Für die meisten war zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts dort nicht klar, ob sie ihre Krankheit überleben werden, und falls ja mit welchen Konsequenzen.

Der Vorteil dieser Geschichte ist, dass, zumindest für Stammleser, der Ausgang schon bekannt ist, denn mein Sohn ist inzwischen neunzehn Jahre alt und ein gesunder, ziemlich normaler Jugendlicher. Leider gilt das garantiert nicht für alle, die damals auf dieser Station waren. Genau weiß ich es nicht, mein Sohn wollte sehr lange gar nichts mehr mit dem Thema und dieser Zeit zu tun haben. Aber auch ich war froh, dass wir da irgendwann Abstand dazu hatten. Ich habe mir einige Male zwischenzeitlich überlegt, ob ich darüber reden will, ob ich es aufschreiben will oder wie es irgendwann mal zu einem akzeptablen Abschnitt werden soll. Noch jedenfalls ist es das nicht.

Bisher ist es weiterhin ein Zeitraum, an den dich überwiegend ungern denke, ein Thema welches mehr als nachdenklich macht. Es ist schon besser geworden. Manchmal, je nach Zusammenhang sage ich heute, dass mein Sohn einen Tumor an der Wirbelsäule hatte. Ab und zu erwähne ich, dass das keine einfache Zeit war, aber viel mehr gab’s bislang nicht. Natürlich passt es auch nicht immer, manche Menschen waren damals schon dabei und haben genau mitbekommen, was da ablief. Einige sind froh, dass es rum ist und wollen noch weniger daran erinnert werden als er selbst oder ich. Bei denen, die nicht viel darüber wissen, finde ich es zuweilen schwierig einzuschätzen, ob es eine gute Idee wäre mehr zu erzählen.

Hier darüber zu schreiben, scheint mir eine gute Möglichkeit zu sein. Niemand muss lesen, was ich schreibe, der oder die das nicht will. Ich habe außerdem die Hoffnung, dass es vielleicht jemandem heutzutage hilft. Ich bin „Informationsjunkie“, ich wäre häufig froh gewesen, wenn es mehr Informationen gegeben hätte. Von anderen, eher unangenehmen Themen, kenne ich außerdem, dass es oft viele Berichte gibt, die genau in der Zeit entstehen, in der es gerade ganz schlimm ist, dass es jedoch nur wenige gibt, die später davon erzählen. Häufig fehlen die Aussichten für _nach_ den akuten Zeiten, die Erzählungen, die zeigen, dass es eben viel viel später noch etwas geben kann, in einer Zeit, in der solche Ausnahmesituationen nur noch Erinnerung, aber eben nicht mehr Alltag sind.

Übrigens…

…ich schreibe hier, weil ich es erzählen mag, denen, die es lesen wollen. Selbstverständlich darfst du mich auch fragen, wenn du etwas wissen willst. Gern kannst du kommentieren, wenn du etwas dazu sagen willst. Natürlich darfst du diesen Artikel verlinken oder hier einen Link zu thematischen passenden eigenen Artikeln hinterlassen.

>>>  zum fünften Teil


4 Antworten zu “Es ist an der Zeit… Kinderklinik in Freiburg”

  1. Ich lese gespannt mit – auch da ich als Blogleser den guten Ausgang erahne. Ich hoffe, ich muß das mit keinem meiner Kinder durchleben.

  2. Na, dann weiß ich jetzt zumindest von zwei Lesern sicher, dass sie auch diese Serie lesen, das freut mich. Ich war anfangs unsicher, ob ich wirklich hier darüber schreiben will.

    Dieses Thema ist ja nicht gerade ein Thema, mit dem man sich gern befasst. Ich denke alle Eltern hoffen, dass ihre Kinder einfach gesund erwachsen werden, so dass sie irgendwann Großeltern ebenso gesunder Enkel werden.

    Ich habe dann entschieden, dass es mir wichtig ist, auch solche Themen nicht unter den Teppich zu kehren, und eben deshalb dann auch beschlossen öffentlich darüber zu schreiben. In Kauf genommen habe ich dafür, dass manche regelmäßigen Blogleser die Artikel dieser Serie nicht lesen und womöglich auch wegen dieser Serie nicht mehr hier lesen.

    Deshalb freue ich mich besonders, dass ich jetzt weiß, es gibt Leser, die diese Serie verfolgen, danke.

  3. […] Na, da habe ich es doch im vierten Teil hinbekommen, nochmal kurz einen schönen großen Bogen um das zu machen, womit ich mich nicht so gern beschäftige. Klar, die Informationen gehören auch dazu, aber so ein bisschen ertappt habe ich mich doch. Gut, also zurück zum Thema, ich war dabei zu erzählen, dass ich auch heute noch Mühe habe, mit dieser Zeit vor zehn Jahren.[…]

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