Palästina im Oktober ::: Rückmeldungen der Freiwilligen


Ich habe nach dem ersten Beitrag zu Palästina nochmal angefragt, ob Form und Inhalt für alle Beteiligten so ok sind. Es kam keine negative Rückmeldung, deshalb werde ich weitere Berichte in diesem Stil veröffentlichen.

1.10.08 Grün

Tobias: „ein frohes neues Jahr 5769! Die letzten drei Tage wurde in Israel Rosh HaShana, das Neujahrsfest gefeiert. Die Israelfreiwilligen Katrin, Leo und ich waren bei einem unserer Mitarbeiter zum traditionellen Essen zur Familie eingeladen. Dort wurde in großer, mulikulti-internationalen Runde das Fest begangen. Danach waren wir 2 Tage in Tel Aviv, wo wir die meiste Zeit am Strand verbracht haben. Es ist immer noch sehr warm (Wasser 29°C) und man kann abends lange gemütlich draußen sitzen.

Rüdi: „Die vergangende Woche war in Talitha relativ ruhig. Bis zum Montag gab es den normalen Schulalltag in Kombination mit dem Mädcheninternat und dem Gästehaus. Da aber diese Woche Ramadanferien in Talitha sind, klang die letzte Woche angenehm aus. Die beiden Evas und Rike waren an ihren freien Tagen am Mittelmeer. Richard hatte am Samstag sein erstes Konzert mit Brass for Peace und seinen Schülern und fuhr daraufhin am Sonntag für eine Woche mit seiner Organisation durch Palästina. Heute waren wir mal wieder stark in das Patenschaftsprogramm eingespannt, was einen Mittag mit Überprüfungen, Ergänzungen und Überarbeitungen mit sich zog.

8.10.08 Gelb

Tobias: „zum ersten mal melden wir gelb und nicht grün. Das liegt NICHT an einer Verschlechterung der Sicherheitslage, sondern am Zustand der Wohnungs- und Visa-Problematik. Wir haben uns alle dazu entschieden nicht grün zu melden.
Trotz einiger neuer Angebote bei der Wohnungssuche, gab es noch keinen endgültigen Erfolg. Weiter problematisch stellt sich die Finanzierung dar, auch die letzte Wohnungsbesichtigung betrachten wir mit Skepsis. Vor allem für Leo verschlechtert sich die Lage: er wohnt weiterhin im Hostel – was generell nicht sehr angenehm ist -, dazu kommt jetzt, dass die Preise von 30 auf 35 NIS pro Nacht angestiegen sind, was seinen Geldbeutel zusätzlich belastet.
Katrin schläft weiterhin bei mir auf dem Boden. Die „WG-Stimmung“ ist zwar sehr gut, aber trotzdem wären eigene Zimmer und ein Bett um einiges angenehmer.
Weiter macht uns Tobis Visum Sorgen; bald wohl auch Chris‘. Tobis Visum läuft nun nach 6 Wochen aus, eine Verlängerungsmöglichkeit gibt es noch nicht. Bisher gab es nur Absagen von potentiellen Trägern/Einrichtungen, über die man ein Visum bekommen könnte. Wir suchen weiter nach Möglichkeiten und Kontakten, sind aber für sinnvolle Tips dankbar.

In Israel hat heute Yom Kippur, der Versöhnungstag, begonnen. Bis morgen wird gefastet, man kommt mit sich selbst ins reine und ruht. Das bedeutet, dass alle Straßen gesperrt sind, keine Autos fahren und alles geschlossen ist. Katrin, Leo und ich waren an der Klagemauer und haben den Predigten zugehört und -geschaut und sind dann mitten auf einer der Hauptstraßen nach Hause gelaufen.

Eva: „Die Ramadanferien sind zu Ende, der Schulalltag hat uns wieder. Nach den ruhigeren Tagen, in denen wir ab und zu auch Gelegenheit zu kleinen Ausflügen hatten, ist es schön, wieder mit den Kindern zu arbeiten. Uns allen geht es gut, wir genießen die etwas kühleren Temperaturen. Rüdis Gips ist auch ab, und so können wir jetzt durchstarten. Einziges Problem sind die vielen Deutschen um uns herum und die abgeschiedene Lage von Talitha. Aber wir geben unser Bestes, das zu überbrücken..

16.10.08 Gelb

Tobias: „die zweite Woche in Folge melden wir gelb, da sich an der Situation kaum etwas getan hat. Das SOS hat immer noch keine Visa, Tobi ist mehr oder weniger illegal im Land. Leo wohnt weiter im Hostel, von der Wohnung in Aussicht gibt es nichts Neues. Einziger Lichtblick ist Katrins Situation: da Franz aus unserer WG ausgezogen ist, kann und darf Katrin jetzt offiziell im WBC wohnen – zumindest bis Februar, evtl. länger. Das heisst nun eigenes Zimmer und eigenes Bett.
Zur Zeit sind Sukkot-Feiertage (bis nächsten Mittwoch), aus diesem Anlass fand heute ein Umzug durch Jerusalem statt. Unsere Straße war eine der drei Startpunkte, was zur Folge hatte, das ein Aufgebot an Polizei und Militär den ganzen Tag präsent war. Morgen soll es eine ‚Demo‘ ultrarechter Israelis geben, die versuchen wollen den Tempelberg zu stürmen und die Al Aqsa zu zerstören. Für die Locals nicht Besonderes oder Beunruhigendes. Die Sicherheitskräfte werden sie davon abhalten.
Von den Krawallen in Akko bekommen wir gar nichts mit; in der deutschen Presse wird mehr stehen als wir wissen.
Langsam wird es auch Herbst: nachdem es gestern noch mal sehr warm war, hat es heute den ganzen Tag genieselt und es war deutlich kühler.

Rüdi: „Wir haben zur Zeit Alltag. Den üblichen Unterricht, Boarding section und Gästehaus. Das Gästehaus ist zur Zeit gut besucht, so dass uns sicher nicht langweilig wird.
In den nächsten Tagen wird uns wahrscheinlich das Patenschaftsprogramm überrollen. Bisher haben wir noch immer kaum konkrete Aufgaben, doch werden wir die wohl sehr bald bekommen und uns dann auch kräftig damit beschäftigen.
Versuchen weiterhin auch mal aus Talitha rauzukommen. Sei es mit einem 4+1-Projekt oder einem Sportteam.

Rückmeldung des Vereins

Auf Grund dieser Gelb-Meldung kam eine Nachricht vom Vorstand des organisierenden Vereins Weltweite Initiative für Soziales Engagement e.V:

„(…) zweimal GELB hintereinander hatten wir noch nie in einem Einsatzland – es wird also Zeit, dass wir eine Lösung finden.“ Er machte einige direkte Vorschläge, diese Woche wird sich zeigen, wie es weitergeht.

22.10.08 Grün

Tobias: „nach zwei mal Gelb kommt nicht rot, sondern Grün! Wir sind mit  unseren Problemen sehr große Schritte weitergekommen: Leo hat zu 99 %  ein WG-Zimmer und ist versorgt. Zur Zeit wohnt er bei Volontären in  Ein Kerem. Katrin ist bis mindestens Februar versorgt, dann kann sie  sich für Leos WG-Platz bewerben, evtl. weiter im WBC wohnen oder bis  dahin nach etwas Neuem Suchen.
Tobi, Chris und ich waren heute nach 3 Wochen Ferien wieder einmal  beim Innenministerium: leider zeigten sich die Mitarbeiter wenig  hilfreich und gaben weder Informationen noch irgendeine Hilfe. Dafür  wurde uns mehrmals die Tür vor der Nase zugeknallt. Chris hat es dann  doch geschafft einen Termin zu ergattern, für Mitte November.
Entweder Tobi und ich bekommen auch noch einen oder wir gehen alle  gemeinsam. Damit wären alle großen Hürden gemeistert und wir können aufatmen.

Jerusalem stand bis heute immer noch im Zeichen der Sukkot-Feiertage.  Die Sukas, die Laubhütten, werden jetzt so langsam wieder abgebaut  und die Feiertage sind vorbei. Es wird auch kühler – ok, alles ist  relativ, am kann noch im T-Shirt laufen – und in Ramallah hat es  heute auch geregnet.

Politisch tut sich auf nationaler Ebene nicht besonders viel. Livni  hat heute weitere 14 Tage zur Regierungsbildung bekommen, schafft sie  es in dieser Frist nicht, wird es Neuwahlen in Israel geben. In
Jerusalem sieht man viele Plakaten für den Stadtwahlkampf, darauf  fokussieren sich die Parteien zur Zeit. Die Fateh bereitet sich auf ihren 6. Kongress nach 20 Jahren vor.  Am  4. November sollen Ort und Datum bekannt gegeben werden. Nebenher  laufen über Ägypten die Verhandlungen über eine Kontaktaufnahme zur Hamas.

Eva :“In Talitha wie immer alles in ordnung! Wir haben uns nochmal  mit Herrn Dürr getroffen und alles nötige besprochen. Rüdi war am  Montag beim Fußballtraining in Al Doha. Eva hat ihr  vorraussichtliches 4+1 Projekt gefunden: Lightning Candles, eine  palästinensische Organisation. Dort kann sie Workshops aller Art für  Menschen aller Art anbieten.
Am Sonntag waren wir mit der Redeamer Church am Toten Meer, Eva und  Eva gehen mit eben diesen diese Woche auch noch für zwei Tage in der  Wüste, zusammen mit einigen anderen Volontären aus der Umgebung.
Wir fühlen und alle sehr sicher hier, in Talitha natürlich besonders,  aber auch in Beit Jala ist es sehr ruhig.

1.11.08 Grün

Tobias: „zunächst die Entschuldigung für die Verspätung: Mittwochabend war der letzte Abend unserer Delegation aus Berlin, am Freitag waren Katrin und ich 5 Stunden am Flughafen um eine deutsche Volontärin im Empfang zu nehmen und seit Freitag haben wir auch kein Internet gehabt.
Jetzt aber die verspätete Wochenmeldung. Israel steht ganz im Zeichen der Wahlen: Kommunalwahlen nächste Woche und Neuwahlen für die Knesset im Januar, da Livni keine Regierungsbildung gelungen ist. Yossi Beilin, ex-Meretz-Vorsitzender ist aud der Politik ausgeschieden.
Es wird langsam auch Winter. Es regnet hin und wieder, vor allem am Mittwoch hat es geschüttet, da habe ich mich zum ersten Mal über den Bethlehem-Checkpoint und vor allem dessen schützendes Dach gefreut. Nachts wird es durchaus kalt.
Die Sicherheitslage ist weiterhin ruhig, nur von einer Bombendrohung bin ich ungewollt Augenzeuge geworden. Die Sache ging für alle (außen den potentiellen Attentäter) harmlos aus.

Von Dienstag bis Donnerstag sind Katrin, Leo, Tobi, Chris, Rike, 2 x Eva und ich auf Volontärsseminar im Kibbutz bei Haifa, das Wochenende werde einige sicher auch im Norden verbringen. Ich nehme an ich habe Internetzugang, sonst verspätet sich die Wochenmail wieder.
Eva :“Bei uns ist nach wie vor alles in Ordnung. Die SMV-Arbeit mit der Verfassung ist im Gange, außerdem haben wir jetzt auch angefangen, mit den Streitschlichtern zusammen zu arbeiten. Wir wollen ihnen etwas helfen, sich zu organisieren, ihren Raum einzurichten, Werbung zu machen etc. Und dann fängt jetzt wohl nach unzähligen ankündigungen auch tatsächlich das Patenschaftsprogramm an.
Rüdi hat gerade Besuch von seiner Freunudin. Der Wüstenausflug war absolute spitzenklasse und einfach beeindruckend und wunderschön. Am Sonntag waren Rike und Eva bei einer orthodoxen Taufe. Auch sonst erkunden wir Beit Jala und Bethlehem immer mehr und fühlen uns schon fast wie zu hause.
Außerdem fängt Eva jetzt einen Salsakurs an, was zwar nicht sehr palästinensisch ist, aber wenigstens ist sie die einzige Ausländerin dort. Nächste Woche werden Eva, Eva und Rike von Dienstag bis Donnerstag nach Haifa auf ein Seminar fahren.
Die Sicherheitslage in Beit Jala ist nach wie vor wunderbar.

Palästinaaufenthalt aus meiner Sicht

Tja, nun ich hätte mir nicht grad ein Krisengebiet gewünscht, für Rüdiger als Freiwilligenjahr. Aus meiner Sicht ist es eine gute Idee nach der Schule mal ein Jahr wegzugehen und was ganz anderes zu sehen als gewohnt. Raus aus dem bisherigen Alltag und in eine völlig andere Umgebung, halte ich für einen sehr guten Weg, um festzustellen, wer man ist und wohin man möchte.

Ein Land, aus dem nicht fast täglich Meldungen von verschiedensten Ereignissen kommen – hier ein Toter, da ein Attentat, hier etwas gesperrt… – wäre mir lieber gewesen, aber Rüdiger war sich schon sehr lange sicher, dass er genau dahin will.

Da ich in diesen ersten Wochen nur wenig Freizeit hatte, habe ich manche Krise gar nicht mitbekommen, sondern hörte bei Rüdis Entwarnung erstmals davon. So ist das natürlich lange nicht so besorgniserregend. Insgesamt klappt der Kontakt über Mail, Chat usw. sehr gut, ich bekomme sehr regelmäßig die Rückmeldung, dass alles soweit in Ordnung ist. Immer wieder erklärt er mir auch, dass er in einem vergleichsweise sehr sicheren Bereich dieser Gegend ist. Kleine Unfälle am Rande, wie der Gips wegen der gebrochenen Hand, sind bei Rüdi nichts so ungewöhnliches, dass ich mir da sehr viele Gedanken mache. Was mir noch fehlt ist selbst mal zu gucken, aber da fehlen mir grad Geld und Zeit.

Insgesamt geht es bisher besser als befürchtet, damit klar zu kommen, dass Rüdiger in einem Krisengebiet steckt.  Meine Traumvorstellung ist es nach wie vor nicht, aber irgendwie sind doch immerhin schon rund zwei von zwölf Monaten rum. Rüdiger schreibt nicht gerade regelmäßig, aber wenn dann intensiv in seinem Blog, siehe den Monatsbericht.


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